Adventskranz im Advent

Advent neu verstehen

Viele Menschen wissen heute kaum noch, wozu der Advent eigentlich da ist – und machen sich damit nicht nur den Advent, sondern ein Stück weit auch Weihnachten kaputt.

Das Missverständnis um den Advent

Für viele ist der Advent gleich „Weihnachtszeit“: Weihnachtsmärkte, Weihnachtsfeier im Sportverein, am Arbeitsplatz – und oft auch in christlichen Gemeinden. Eine gemütlich-gesellige Zeit voller Plätzchen, Süßigkeiten und Glühwein. 

Doch ursprünglich ist Advent genau das Gegenteil von Weihnachten. Advent ist eine Fastenzeit. Also nicht Party und Völlerei, sondern bewusster Verzicht, Stille, Einkehr und die Begegnung mit unserem schwierigsten Gegenüber: mit uns selbst.

Denn gesundes, erfülltes Leben entsteht in der Balance: Zwischen Tag und Nacht, Anspannung und Loslassen, Knappheit und Fülle. Das wissen Menschen weltweit, zum Beispiel die chinesische Philosophie spricht von Yin und Yang. In der Bibel finden wir dieses Prinzip natürlich auch: Zeiten der Arbeit und der Ruhe, der Fülle und der Entbehrung. Über viele Jahrhunderte haben Menschen bei uns in Europa genau so gelebt – bewusst im Rhythmus von Fest- und Fastenzeiten. 

Advent: Ursprung und Bedeutung

Bereits im 4. und 5. Jahrhundert begannen christliche Gemeinden in Gallien, Spanien und Italien eine besondere Vorbereitungszeit auf das Fest der Geburt Jesu zu halten – oft als mehrere Wochen dauernde Fastenzeit, ähnlich der Passionszeit vor Ostern. In Rom setzte sich nach und nach der bis heute übliche Rhythmus von vier Adventssonntagen durch. Damit bekam der Advent ein klares Profil: eine geordnete Zeit der Sammlung und Vorbereitung vor dem Fest der Menschwerdung Gottes.

Der Name selbst zeigt, worum es theologisch geht: „Advent“ kommt vom lateinischen „adventus“ und bedeutet „Ankunft“. Gemeint ist zunächst die Ankunft Jesu in Bethlehem, aber von Anfang an immer mehr: Die Kirche denkt im Advent zugleich an das kommende Wiederkommen Christi am Ende der Zeiten und an seine stille Gegenwart heute. Advent ist deshalb eine liturgische Zeit des Wartens, der Erwartung und der Hoffnung. Im Kirchenjahr markiert sie den Beginn eines neuen Zyklus: Mit dem ersten Adventssonntag startet das neue Kirchenjahr, in Gottesdiensten wechseln Lesungen, Gebete und Lieder auf „Warten und Kommen“ hin. Die liturgische Farbe Violett erinnert an Umkehr und innerliche Vorbereitung. So verbindet der Advent Geschichte und Gegenwart: Wir erinnern uns an die erste Ankunft Jesu, wir leben aus seiner Gegenwart – und wir hoffen auf seine vollkommene Zukunft.

Advent geistlich verstehen: Die Drei Ankommen von Christus nach Bernhard von Clairvaux

Bernhard von Clairvaux, ein einflussreicher Mönch und Abt des 12. Jahrhunderts, hat den Advent geistlich mit den „drei Ankünften“ Christi gut erklärt. In einer seiner Adventspredigten an die Mönche in Clairvaux – sie wird in seinen Predigten zum Kirchenjahr überliefert – sagte er: Christus kommt nicht nur einmal, sondern auf drei Weisen zu uns. Er kam als Kind in Bethlehem in die Welt, er möchte zu jedem einzelnen ins Herz kommen und er wird am Ende der Zeiten in Herrlichkeit kommen.

Die erste Ankunft ist uns vertraut: das Weihnachtsgeschehen. Christus kommt „in der Geschichte“, als echtes Kind in einer konkreten Zeit, an einem konkreten Ort. Bernhard betont: Gott bleibt nicht fern, sondern tritt sichtbar in unsere Welt ein, mit all ihrer Armut und Zerbrechlichkeit. Das ist mehr als ein schönes Bild – es heißt: Gott kennt unser Leben von innen. Für den Glauben heißt das: Wir sehen auf ein Ereignis, das wirklich stattgefunden hat. Weihnachten ist kein Märchen, sondern die Erinnerung an eine reale Spur Gottes in dieser Welt.

Die zweite Ankunft ist unsichtbar und doch ganz persönlich: Christus kommt „in die Seele“. Bernhard meint damit, dass Christus durch sein Wort und seinen Geist in das Herz eines Menschen einzieht. Nicht spektakulär, sondern leise – im Gebet, in der Bibellektüre, in den Sakramenten, in Momenten, in denen wir uns Gott öffnen. Diese „mittlere“ Ankunft verbindet die Vergangenheit mit der Zukunft: Das, was Jesus damals getan hat, wird heute in mir wirksam.

Für uns Menschen bedeutet das: Advent ist nicht nur ein Zurückdenken und ein Vorausblicken, sondern ein Jetzt. Die Frage ist nicht nur: „Glaubst du, dass er damals kam?“ oder „Glaubst du, dass er wiederkommt?“, sondern auch: „Lässt du ihn heute in dein Inneres hinein?“

Die dritte Ankunft richtet den Blick nach vorne: Christus wird „am Ende in Herrlichkeit“ kommen. Bernhard erinnert daran, dass die Geschichte dieser Welt auf ein Ziel hinläuft. Der, der als Kind in der Krippe lag und jetzt unsichtbar in den Herzen wirkt, wird einmal für alle sichtbar wiederkommen, um zu richten und zu vollenden. Dann wird Unrecht endgültig beim Namen genannt, Tränen werden abgewischt, und Gottes Gerechtigkeit setzt sich durch. Diese Hoffnung schützt davor, im Hier und Jetzt zu verzweifeln oder sich im Klein-Klein zu verlieren: Unsere Mühe, unsere Entscheidungen, unser Einsatz in dieser Welt stehen unter einer großen Verheißung.

Wer so Advent feiert, bleibt nicht bei Stimmung und Kerzen stehen, sondern entdeckt: Christus ist der, der war, der ist und der kommt – und jede dieser drei Dimensionen trägt meinen Glauben auf ihre Weise.

Gott wird ein Baby und ein Kind wird Bischof – die Umkehr-Feste waren anschaulich, aber wurden bald verboten

Gott wird Mensch und ein Kind kommt als Bischof an die Macht – das passierte im Mittelalter tatsächlich in manchen Kathedralen. 

Am 6. Dezember, dem Fest des heiligen Nikolaus, wählten die Jungen der Kathedralschule oder des Kinderchores einen von ihnen zum Kinder-Bischof. Er bekam eine kleine Mitra, einen Bischofsstab, zog in feierlichen Prozessionen durch die Stadt, segnete die Leute und übernahm im Dom symbolisch viele Aufgaben des echten Bischofs – oft bis zum 28. Dezember, dem Fest der Unschuldigen Kinder, an dem an den Kindermord in Betlehem durch Herodes gedacht wurde.

Die Wurzeln dieses Brauchs liegen im deutschsprachigen Raum: In der Klosterchronik von St. Gallen wird für das Jahr 911 eine Kinderprozession am 28. Dezember beschrieben. Der König war anwesend, war von den Chorknaben so beeindruckt, dass er ihnen drei „Spieltage“ im Jahr schenkte – Tage, an denen sie besondere Freiheiten hatten. Aus solchen Kinderliturgien entwickelte sich nach und nach das „Bischofsspiel“: Man wählte einen Knaben zum „episcopus puerorum“, zum Kinderbischof, und ließ ihn den Rang des Abtes oder Bischofs nachspielen. Später griffen vor allem englische Kathedralen diese Form auf und machten daraus ein aufwendiges Ritual.

Theologisch steckt eine klare Pointe dahinter: Für kurze Zeit werden die Rollen radikal vertauscht. Der mächtige Bischof tritt zurück, ein Kind steht im Mittelpunkt. Das inszeniert Gottes Sicht der Dinge: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener“ (Mk 10,43). Die Kirche wollte damit sichtbar machen, dass Gott gerade die Kleinen und Unscheinbaren ernst nimmt und sie zur „Leitung“ beruft.

Gleichzeitig mischte sich immer mehr Spott und Überschwang darunter, ähnlich wie bei Narrenfesten. Mancherorts geriet der Respekt vor Amt und Liturgie ins Rutschen. Bischöfe und Konzilien versuchten den Brauch zu begrenzen; mit der Reformation und der stärkeren Betonung von Ordnung und Ernsthaftigkeit in der Liturgie wurde er vielerorts ganz abgeschafft. In England verbot Heinrich VIII. die Boy-Bishop-Feiern, nur für kurze Zeit wurden sie wieder zugelassen. 

Übrig geblieben ist die Erinnerung an eine skurrile, aber theologisch scharfe Inszenierung: Für ein paar Tage trägt ein Kind den Bischofsstab – als sichtbares Bild dafür, dass Gott die Machtverhältnisse dieser Welt auf den Kopf stellt.

Beim Warten helfen Adventskranz und Adventskalender

Der Adventskranz – wartende Kinder, wachsendes Licht

Im Jahr 1839 sorgte Pfarrer Johann Hinrich Wichern für arme Straßenkinder im „Rauhen Haus“ in Hamburg-Horn für ein neues Zuhause. In der Adventszeit wurde er ständig gefragt: „Wie lange dauert es noch bis Weihnachten?“ Daraufhin hatte er eine Idee: Er hängte im Betsaal ein großes hölzernes Wagenrad auf und bestückte es mit vielen kleinen roten und vier großen weißen Kerzen: für jeden Werktag eine kleine, für jeden Adventssonntag eine große. Jeden Tag durften die Kinder eine weitere Kerze anzünden – das Warten wurde sichtbar, der Raum heller.

Einige Jahrzehnte später wurde aus dem Holzrad ein Kranz aus Tannengrün. Seit etwa 1860 ist belegt, dass im Rauhen Haus und dann anderswo der Kranz mit Zweigen und Bändern geschmückt wurde. Für normale Wohnzimmer war Wicherns Riesengebilde mit Dutzenden Kerzen zu groß. Also blieb man bei der Grundidee – Licht, das Woche für Woche wächst – und reduzierte die Form: ein Kranz aus Grün mit vier Kerzen.

Von Hamburg aus zog der Adventskranz zuerst in protestantische Bürgerhäuser ein. Erst im 20. Jahrhundert entdeckten ihn katholische Gemeinden: 1925 hing in einer Kölner Kirche erstmals ein Adventskranz, wenig später auch in München; nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er in katholischen Kirchen und Familien selbstverständlich.

Sein geistlicher Sinn: Der Kreis aus immergrünem Tannengrün steht für Gottes Treue und das Leben, das nicht aufhört. Die Kerzen machen erfahrbar, was Christen glauben: Christus ist das „Licht der Welt“, und je näher Weihnachten kommt, desto heller wird es. Wer als Christ jeden Adventssonntag eine Kerze mehr anzündet und vielleicht ein Lied singt oder einen kurzen Bibeltext liest, übt ein: Warten, zur Ruhe kommen, sich bewusst machen, dass Gott auf dem Weg zu uns ist – auch mitten im hektischen Dezember.

Der Adventskalender – Zählhilfe, Geschichten und geistliche Spurensuche

Der Adventskalender entstand ebenfalls im 19. Jahrhundert, zunächst in evangelischen Familien. Kinder sollten die Tage bis Weihnachten „sehen“ und zählen können. Manche Familien hängten nach und nach 24 kleine Bilder an die Wand, andere malten 24 Kreidestriche an Tür oder Schrank, von denen die Kinder jeden Tag einen wegwischen durften. Es gab auch Adventskerzen, die in 24 Abschnitte eingeteilt waren, oder kleine Adventsbäumchen, an die Tag für Tag ein Fähnchen oder Stern mit einem Bibelvers gesteckt wurde. 

In vielen katholischen Haushalten legte man stattdessen jeden Tag einen Strohhalm in die leere Krippe – als Zeichen: Mit jeder guten Tat wird es dem Kind in der Krippe „weicher“ gemacht.

Um 1900 wurde der Adventskalender gedruckt. 1902 erschien in Hamburg eine „Weihnachtsuhr für Kinder“, kurz danach brachte der Münchner Verleger Gerhard Lang seinen Kalender „Im Lande des Christkinds“ heraus: ein Bogen mit 24 Versfeldern und ein Bogen mit 24 Bildern, die Kinder Tag für Tag ausschneiden und aufkleben durften. Ab den 1920er Jahren kamen Kalender mit Türchen dazu – hinter denen zunächst Bilder und Bibelverse, später auch Süßigkeiten verborgen waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden solche Kalender massenhaft produziert und gehören heute in vielen Ländern zur Kindheit.

Ursprünglich war der Adventskalender vor allem eine geistliche Zählhilfe: Er sollte nicht nur „die Zeit verkürzen“, sondern Kinder und Familien täglich einen kleinen Schritt näher an das Geheimnis von Weihnachten heranführen. Das kann er bis heute – trotz aller Schoko- und Spielzeugvarianten. 

Es gibt Kalender mit täglichen Bibelversen und kurzen Texten, die zum Beten und Nachdenken einladen, und Projekte wie den Kalender „Der Andere Advent“, der mit Bildern und Texten durch die Advents- und Weihnachtszeit bis zum 6. Januar begleitet und bewusst Gegenakzente zur konsumreichen Vorweihnachtszeit setzt. Wer einen Adventskalender so nutzt – egal ob an der Wand, als Heft oder digital –, bekommt jeden Tag einen sanften Stups: Gott ist im Kommen, und du kannst dich Schritt für Schritt innerlich darauf vorbereiten.

Der Advent in der Kirche: Karg, kein Weihnachtsschmuck 

In der katholischen Kirche wird der Unterschied zwischen Advent und Weihnachten vor allem liturgisch sichtbar. Die Farbe der Messgewänder ist im Advent violett, Zeichen für Besinnung und Umkehr, das festliche „Gloria“ wird an den Sonntagen weggelassen. 

Viele Kirchen bleiben bewusst schlicht: Kaum Blumen, kein Weihnachtsbaum, die Krippe – wenn überhaupt vorhanden – ist oft noch leer oder nur mit Ochs und Esel bestückt. Advent ist hier eine Zeit des inneren „Fastens“: weniger Glanz, weniger äußere Reize, mehr Raum für die Erwartung. 

Erst in der Christmette und an den Weihnachtsfeiertagen „kippt“ die Stimmung: Weiß oder Gold als Festfarbe, volle Beleuchtung, geschmückte Bäume, Krippe mit dem Christuskind, festliche Musik. Was vorher zurückgehalten wurde, bricht sich dann Bahn – ein sinnlicher Ausdruck dafür, dass Christus wirklich angekommen ist.

Auch in evangelischen Kirchen ist der Advent traditionell eine karge Zeit: Violette Paramente, eher schlichte Deko, vielleicht nur Adventskranz und Kerzen, aber noch keine Weihnachtsbäume. Manche Gemeinden verstehen den Advent ausdrücklich als „kleine Fastenzeit“, in der man äußerlich nicht schon Weihnachten spielt, sondern innerlich bereit wird. 

Weihnachten selbst ist dann der große Festwechsel: Christbäume werden aufgestellt, Lichterketten eingeschaltet, die Kirche erstrahlt. In Hamburg etwa wird im Michel das Jesuskind traditionell erst direkt vor der ersten Christmette von Hauptpastor Röder feierlich in die Kirche getragen und in die Krippe gelegt – ein sichtbares Zeichen: Jetzt ist er da. 

So erinnern beide großen Konfessionen auf ihre Weise daran, dass christliche Freude nicht Dauer-Deko ist, sondern aus einer Zeit des Wartens und der Konzentration auf Gottes Kommen wächst.

In vielen Freikirchen gibt es diese Trennung zwischen Advent und Weihnachten nicht. Das ist nicht schlimm, zum Christsein braucht es keinen Advent. Auch wenn ihn viele Christen über den Lauf der Jahrhunderte als schöne und wertvolle Hilfe für die Besinnung auf das Eigentliche erlebt haben und immer noch genießen.

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